Entschädigungen bei Betriebsschließung (aktualisiert)

Dr. Thorsten Feldmann • Juli 16, 2021

Update zu den Auswirkungen von coronabedingten Betriebsschließungen

Ursprünglicher Beitrag: Mittel 2020

Die Betriebsschließungen sind bisher auf die Corona-Schutzverordnung NRW (CornaSchVO NRW) i.V.m. Dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützt worden. Nach der bis zum 3.5.2020 geltenden CoronaSchVO NRW mussten Einzelhandelseinrichtungen mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² generell geschlossen werden. In der nachfolgenden bis zum 10.5.2020 geltenden CoronaSchVO NRW hat die Landesregierung nachjustiert. Danach waren Einzelhandelseinrichtungen erlaubt mit einer „geöffneten“ Verkaufsfläche bis 800 m². Den Unternehmen war damit die Möglichkeit gegeben, ihre Verkaufsfläche auf 800 m² zu begrenzen, um eine Betriebsschließung zu verhindern. Diese Bestimmung ist in der aktuellen ab dem 11.5.2020 geltenden CoronaSchVO NRW entfallen. Nunmehr müssen geeignete Vorkehrungen zur Hygiene, zur Zutrittsregelung sowie zum Mindestabstand gewährleistet werden.

Die bislang verfügten Betriebsschließungen haben zu extremen Umsatzeinbußen geführt und die Unternehmen wirtschaftlich sehr stark getroffen. Dies wirft unweigerlich die Frage nach staatlicher Entschädigung auf. Hierüber wird derzeit eine kontroverse juristische Diskussion geführt. Eine höchstrichterliche Entscheidung gibt es bislang nicht – und wird auch kurzfristig nicht zu erwarten sein. Aktuell gibt es lediglich eine erste – noch nicht rechtskräftige – landgerichtliche Entscheidung. Das Landgericht Heilbronn hat Entschädigungsansprüche wegen einer Betriebsschließung erstmals abgelehnt. Es handelt sich allerdings um eine erste Einzelfallentscheidung, der man sicherlich keine grundsätzliche Bedeutung beimessen kann.

Das IfSG sieht in den §§ 56 I und 65 I Entschädigungsregelungen vor. Ein Entschädigungsanspruch wird aber allenfalls nach § 56 I IfSG in Betracht kommen – möglicherweise auch nur in analoger Anwendung. § 65 IfSG betrifft die Verhütung übertragbarer Krankheiten, § 56 I IfSG betrifft demgegenüber die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Wenn die Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten verhindert werden soll, handelt es sich letztlich um eine Bekämpfung und nicht in erster Linie eine Vergütung. Bei der aktuellen pandemischen Situation wird man von einer Bekämpfung der Viruserkrankung ausgehen müssen.

Von Betriebsschließungen betroffene Unternehmen sollten in jedem Fall einen Entschädigungsanspruch nach dem IfSG stellen. Wir raten unseren Mandanten, rechtzeitig Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Zu beachten ist nämlich, dass ein solcher Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach der verfügten Betriebsschließung  zu stellen ist. Der Antrag ist bei den zuständigen Landesbehörden zu stellen. Antrag Formulare werden von den Behörden nicht zur Verfügung gestellt. Die betroffenen Einzelhandelsbetriebe müssen die Anträge leider selber formulieren. Hierbei sind allerdings bestimmte Antragsvoraussetzungen zu beachten.

Darüber hinaus können Entschädigungsansprüche auch unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen oder enteignenden Eingriffs in Betracht kommen. Voraussetzung ist ein rechtswidriger Eingriff in eine durch Art.14 I GG geschützten Rechtsposition, die ein Sonderopfer darstellt. Zu den von Art. 14 I GG geschützten Rechtspositionen gehört auch das Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. An der Rechtmäßigkeit der Betriebsschließungen bestehen durchaus berechtigte Zweifel. Zum einen ist zweifelhaft, ob das IfSG überhaupt als Ermächtigungsgrundlage für Betriebsschließungen in Betracht kommt. Dies hat das OVG NRW in zwei aktuellen Entscheidungen aus April 2020 zunächst bejaht. Hierbei handelte es sich jedoch um Eilverfahren. Eine abschließende Beurteilung wird erst in den Hauptsacheverfahren erfolgen. Zum anderen stellt die von der Landesregierung verfügte Flächenbegrenzung auf 800 m² Verkaufsfläche möglicherweise einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Diese Frage hat das OVG NRW in den Eilverfahren zunächst offengelassen. Der VGH Bayern hat demgegenüber einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bejaht. Den Unternehmern ist durch die Betriebsschließung auch ein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit abverlangt worden.

Kommt man zum Ergebnis, dass die Betriebsschließungen eine rechtmäßige Maßnahme darstellen, käme ein Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff in Betracht. Die Betriebsschließungen haben zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen geführt, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen.

Zu beachten ist allerdings, dass sowohl bei enteignungsgleichen als auch enteignenden Eingriffen zunächst der Vorrang des Primärrechtsschutzes besteht. Der Betroffene kann grundsätzlich keine Entschädigung geltend machen, wenn er ihm mögliche und zumutbare Rechtsmittel gegen die ihn belastenden Maßnahmen unterlassen hat. Möglicherweise wird die Rechtsprechung in diesen Fällen jedoch von dem Erfordernis des Primärrechtsschutzes absehen, da die Rechtswidrigkeit der  Betriebsschließungen nicht von vornherein offensichtlich war und durchaus einen effektiven Schutz zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Viruserkrankung darstellen.

Demgegenüber werden amtshaftungsrechtliche Ansprüche nicht in Betracht kommen. Es fehlt an der Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht. Die Betriebsschließungen sind auf eine Rechtsverordnung geschützt worden. Somit sind letztlich Pflichten gegenüber der Allgemeinheit wahrgenommen worden. Auch hier besteht das Problem des Vorrangs des Primärrechtsschutzes.

Unter Umständen kommen auch Entschädigungsansprüche nach dem Polizei – und Ordnungsrecht in Betracht. Nach § 39 OBG bestehen Entschädigungsansprüche bei der Inanspruchnahme von Nichtstörern. Ansprüche sind dann allerdings ausgeschlossen, wenn der Geschädigte auf andere Weise Ersatz verlangen kann oder die Maßnahmen auch dem Schutz seiner Person dienen. Ob die Betriebsschließungen auch dem Schutz des Unternehmers diente, kann man durchaus kontrovers diskutieren.

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